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Hintergrund: Dokumentarfilm «Von der Rolle»

Anmerkung der Regie

«Du kannst alles werden, was du willst!» – mit diesem Bewusstsein wuchs ich auf. Die erste Generation Mädchen, die es von klein auf gewohnt waren, dass ihnen alle Möglichkeiten offen- und genauso selbstverständlich zustehen wie den Jungs, erleben nun die ersten Jahre ihrer beruflichen Laufbahn. Die Phase der unbeschränkten Möglichkeiten endet für viele junge Frauen und Männer allerdings mit der Geburt des ersten Kindes. Unvermittelt kehren die alten Rollenmuster zurück. 

Wie viele meiner Kolleginnen lebte auch ich kinderlos ein weitgehend selbstbestimmtes Leben, in dem Gleichberechtigung im Job und in der Partnerschaft als selbstverständlich erachtet wurde. Für mich war klar, dass sich diesbezüglich auch mit Nachwuchs nichts verändern würde.

Schaue ich mich heute in meinem Freundes- und Bekanntenkreis um, ist das Fazit aber ernüchternd: Ich kenne kaum ein Paar mit Kindern, das sich Haus- und Erwerbsarbeit partnerschaftlich aufteilt. Egal wer wieviel arbeitet, im Privaten sind es immer noch vorwiegend die Frauen, welche den Haushalt schmeissen und die Mutter bleibt die Hauptbezugsperson für die Kinder. Muss das so sein, auch noch im Jahre 2019? Reicht die biologische Tatsache aus, dass die Frau die Kinder zu Welt bringt, um eine traditionelle Mutterrolle und ihre Zuständigkeit für Haushalt und Kinderbetreuung zu zementieren? Unabhängig von ihren individuellen Fähigkeiten und Wünschen?

Die Männer in der Schweiz sagen zwar, sie möchten vermehrt Teilzeit arbeiten, aber nur einer von 10 macht es auch wirklich. Frauen fordern von ihren Partnern Engagement in jeder Hinsicht. Die Last, genügend Geld zu verdienen, damit der Mann mehr Raum bekommt, übernehmen sie aber nicht. Es ist an der Zeit, dass sich das ändert. Dazu gehört, dass Frauen ihre Allmacht im Haushalt und in der Kindererziehung abgeben und die Männer ihren Anteil daran einfordern.

Mit dem Film «Von der Rolle» möchte ich dazu einladen, festgefahrene Rollenmuster nicht einfach hinzunehmen, sondern zu hinterfragen und selbstbestimmte Familienmodelle zu erproben.
 

Arbeitsteilung in Familien mit Kindern in der Schweiz

Partnerschaftliche Arbeitsteilung, wie sie bei kinderlosen Paaren zunehmend gilt, kann mit dem Übergang zur Elternschaft meist nicht aufrechterhalten werden. Bekommt ein Paar ein Kind, folgt es wieder stärker den traditionellen, geschlechtsspezifischen Rollenmustern. Frauen investieren dreimal mehr Zeit für Kinder und Haushalt als Männer und es sind fast ausschliesslich die Frauen, die Wäsche waschen, zu Hause bleiben, wenn die Kinder krank sind, sauber machen und während der Nacht aufstehen. Unabhängig davon, wieviel sie arbeiten. 
Diese Situation manifestiert sich auch ausserhalb der eigenen vier Wänden, in den gängigen schweizerischen Familienmodellen. In 80% der Paarhaushalte mit Kindern unter sieben Jahren ist der Mann hauptverantwortlich für das Familieneinkommen, die Frau für Haushalt und Kinderbetreuung. Dabei bleiben 30% ganz zu Hause, während 50% der Frauen im Minimal- und Niedrigprozentbereich arbeiten. Erwerbs- und Hausarbeit sind klar getrennt und die Frau bleibt faktisch in finanzieller Abhängigkeit vom Mann.  
Nur gerade bei 15% der Paare ist eine partnerschaftliche Aufteilung von Kinderbetreuung und Hausarbeit, sowie eine gleichwertige Einbindung in die Erwerbsarbeit gegeben. Das Verhältnis von Erwerbs- zu Hausarbeit ist zwar persönlich bestimmbar, Karrieremöglichkeiten für Teilzeitarbeitende sind aber stark eingeschränkt und an den aktuellen Arbeitsmarkt gebunden.

Entwicklung der sozialen Rolle von Mann und Frau

Noch die Generation meiner Eltern sah Mutterschaft als Ziel und Berufung der Frau und Vaterschaft stand gleichbedeutend für Familienernährer. Die Rollenzuteilung war fix und wurde nicht hinterfragt.

Heutzutage haben sich die Anspruchshaltungen geändert, indem die Frau vom Mann erwartet, dass er sich emotional und tatkräftig bei der Kinderbetreuung und im Haushalt einsetzt, während der Mann bei der Frau davon ausgeht, dass sie sich finanziell am Familieneinkommen beteiligt. Die Rollenzuteilung wird zunehmend hinterfragt, und die damit verbundenen Arbeitsbereiche müssen neu ausgehandelt werden. 

Mit dem Aufkommen der zweiten Frauenbewegung in den späten 1960er Jahren hat sich die Rolle der Frau massiv gewandelt. Eine selbstbestimmte Lebensgestaltung wird selbstverständlich und Erwerbstätigkeit dauert nicht nur bis zur Heirat, sondern wird prinzipiell als lebenslang gesehen. Sie dient der finanziellen Unabhängigkeit der Frau und der Verwirklichung eigener Lebensperspektiven. Die Lohnarbeit erhält einen vergleichbaren Stellenwert wie bei den Männern.  

Die Rolle der Männer hat sich nicht im gleichen Masse verändert. Wohl ist die patriarchalische Anspruchshaltung zurückgegangen und die Bereitschaft zu stärkerer Familienorientierung hat zugenommen. Aber die wachsende Beteiligung der Väter konzentriert sich vor allem auf Freizeitaktivitäten mit den Kindern, nicht auf die Hausarbeit. Lediglich acht von 100 Männern arbeiten Teilzeit, aber 90% geben an, dass sie gerne öfters zu Hause wären. 

Laut Umfragen fühlen sich Männer weder beruflich noch privat durch Kinder eingeschränkt. Bei Frauen dagegen ist der Entscheid für ein Kind mit einer zumindest vorübergehenden beruflichen Unterbrechung verbunden. Zwar kehren die Mütter mit zunehmendem Alter der Kinder meist als Teilzeitbeschäftigte ins Berufsleben zurück. Zwei Drittel der Frauen aber gehen davon aus, dass ihre Karrierechancen verschlech­tert, oder sie beruflich herabgestuft werden. In lediglich 7% der Haushalte steuern sie die Hälfte oder mehr zum Familieneinkommen bei. 

Frauen erleben also eine Diskrepanz zwischen dem angestrebten Familienwunschbild mit partnerschaftlicher Arbeitsteilung und den realen Lebensmöglichkeiten. Mit dem Familienzuwachs erfahren sie eine zunehmende Aufgabenverschiebung zu den traditionellen Arbeiten hin und haben weniger freie Zeit für sich selbst im Vergleich zu den Vätern. Deren Belastung nimmt eher im Beruf zu. 

Dieser strukturell angelegte Konflikt wird von Müttern und Vätern zumeist als individueller Konflikt wahrgenommen, als persönliches Versagen, den eigenen Erwartungen und denen des Partners oder der Partnerin entsprechen zu können.